In unserer Gesellschaft werden die Menschen älter, ihre Zahl nimmt in den nächsten Jahrzehnten deutlich zu. Das ist erfreulich. Zugleich wird die Frage drängender, wer sich wie um die ältere Generation kümmert, wenn sie hilfe- oder pflegebedürftig wird. Mit der Versorgung durch die Familie oder im Pflegeheim ist es nicht mehr getan. Denn persönliche wie gesellschaftliche Ansprüche und Erwartungen haben sich gewandelt, Lebensmöglichkeiten sind vielfältiger und individueller geworden und machen ein Nachdenken über neue Unterstützungsformen notwendig. Dabei rückt ein Thema zunehmend in den Vordergrund: Wie lässt sich der Wunsch nach Selbstbestimmung und nach notwendiger Hilfe auf individuelle Bedürfnisse und Lebensformen hin auch im Alter umsetzen?
Dieser Frage müssen sich die Dienste und Einrichtungen der Caritas stellen, wenn sie den Anschluss an aktuelle Entwicklungen in der Altenhilfe halten wollen. Neue Sozialmodelle, Hilfe-Mix, generationengerechte Wohnformen, quartiersgerechte Beratungs- und Dienstleistungsangebote sind Stichworte, die den Weg in die Zukunft markieren. Damit beschäftigte sich ein Fachtag unter dem Titel „pflegebedürftig und selbstbestimmt – Herausforderungen annehmen und gestalten“, zu dem die Arbeitsgemeinschaft Altenhilfe, Hospizarbeit und Pflege im Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg ins Bildungshaus St. Bernhard nach Rastatt eingeladen hatte. Wie sehr das Thema bei der ambulanten wie der stationären Altenhilfe unter den Nägeln brennt, zeigte die Rekordzahl von über 170 Teilnehmenden aus 240 Einrichtungen aus dem gesamtem Diözesangebiet.
Der Kölner Sozialwissenschaftler Frank Schulz-Nieswandt machte zu Beginn deutlich, dass es ein kulturelles Umdenken in Politik, in Wohlfahrtsverbänden und bei sozialen Dienstleistern braucht, um den demographischen Wandel zu gestalten: „Alle müssen lernen und lernbereit sein“, sagte er und sprach davon, dass der „Autismus der Spezialisten“ überwunden werden müsse. In dem Bemühen, neue Lösungen für unterschiedliche Ansprüche und Bedürfnisse von Personen zu finden, sei gerade bei caritativen Sozialunternehmen „soziale Phantasie statt Pfadabhängigkeit“ gefragt. Sie sollten „ideengetrieben sein, nicht interessengetrieben“, so Schulz-Nieswandt, und durchaus die Wirtschaftlichkeit im Auge haben dürfen, „aber als ein Nebenziel“.
Er plädierte für eine „Ethik der Achtsamkeit“, die sich an den Bedürfnissen der jeweiligen Person statt an einer Kundenideologie orientiert. Es sei letztlich eine sozialcharakterliche Haltungsfrage, das rechte Maß zwischen Fürsorge und Abhängigkeit auszuloten. In dem Spannungsbogen zwischen Selbstbestimmung und Pflegebedürftigkeit geht es aus seiner Sicht um die Entwicklung einer „Ethik des sozialen Miteinanders“, die geprägt ist von „Gabe, Gegenseitigkeit und seelisch-gesundem Eigensinn“.
Nach den erfrischend vorgetragenen Ein- und Ansichten des Kölner Sozialwissenschaftlers hatten die 170 Teilnehmenden ausführlich Gelegenheit, in zehn Workshops Einblicke in neue Wohnformen und Pflegeprojekte zu bekommen. Ein Podiumsgespräch führte abschließend verschiedene Akteure und Partner, auf deren Zusammenspiel es bei der Ausgestaltung von neuen Modellen ankommt, zusammen: Diözesan-Caritasdirektor Bernhard Appel, Dieter Burger, Geschäftsführer der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft Rheinfelden, Agnes Christner, Sozialdezernentin beim Städtetag Baden-Württemberg, Dietrich Eckhardt, stellvertretender Vorsitzender des Landesseniorenrats Baden-Württemberg, Andreas Marg, Referent für Pflege und Sozialpolitik im Stuttgarter Sozialministerium und Rolf Steinegger, Vorstand des Caritasverbandes Hochrhein und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Altenhilfe, Hospizarbeit und Pflege im Diözesan-Caritasverband Freiburg.
Die Podiumsteilnehmer waren sich schnell einig darin, dass auf allen Seiten Kreativität und Offenheit nötig ist und vielfach bereits in die Tat umgesetzt wird, um alte Denkmuster zu überwinden und sich auf neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Kommunen, der Wohnungswirtschaft und Sozialunternehmen einzulassen. Deutlich zu vernehmen war dabei der Wunsch an die Politik, Rahmenbedingungen für ein „experimentierfreudiges Klima“ zu schaffen statt sofort wieder zu reglementieren.