Moderiert von Sven Ludwig, Chefredakteur der Welle
Niederrhein, erlebten und gestalteten rund 35 Gäste eine abwechslungsreiche
Diskussion, zu der Peter Gese von der Polizei Krefeld interessante Fakten aus
dem Alltag beisteuern konnte.
In seinem Buch stellt Erziehungswissenschaftler Prof. Ahmet Toprak fünf Thesen auf, die
zeigen, dass Integration von vielen Faktoren abhängig und bisher wenig gelungen ist. Caritas-
Vorstand Hans-Georg Liegener freute sich, Prof. Toprak als außergewöhnlichen Gast sowie
Polizeibeamten Peter Gese und Welle-Niederrhein-Chefredakteur Sven Ludwig zu dieser
Veranstaltung im Hansa-Haus begrüßen zu können. Mit Rücksicht auf die Corona-Regeln
konnten nur 35 Gäste teilnehmen.
Prof. Toprak stellte zu Beginn einige Passagen aus seinem Buch vor. Seine Thesen belegt
er jeweils mit biographischen Berichten, die das Buch lebendig machen und bei der rund 45-
minütigen Lesung im Hansa-Haus teilweise für Schmunzeln sorgten. So erläuterte er, dass
die traditionelle Rollenverteilung in muslimischen Familien, dazu führe, dass Jungen Verhaltensweisen
anerzogen bekommen, die für eine erfolgreiche Schullaufbahn in Deutschland
und eine Integration eher hinderlich seien. Anhand eines Urlaubserlebnis mit seiner Familie
in der Türkei schilderte der Professor die unterschiedlichen Erwartungen der Kulturen an die
geschlechterspezifische Erziehung. In der Türkei erwarte man, dass sich Jungen eher wild
und respektlos verhalten und so würden sie auch erzogen, da diese Eigenschaften als förderlich
zum Führen einer Familie angesehen würden. Ein weiteres Hindernis auf dem Weg
zur Integration sieht Prof. Toprak darin, dass Familie und Bildungseinrichtungen konkurrieren
statt miteinander zu kooperieren. Beide Seiten würden sich eher Vorwürfe machen als nach
Lösungen zu suchen.
Prof. Toprak erläuterte zudem, dass der deutsche Staat in der Vergangenheit über viele
Jahre eher eine Desintegration gefördert habe. Für die türkisch-stämmigen Kinder der Gastarbeiter
sei es in den 70er Jahren fast unmöglich gewesen sich zu integrieren, da der Staat
mit seinen Angeboten nicht die Integration förderte, sondern die Rückkehr ins Heimatland.
Die damaligen Jugendlichen hatten große Lücken in der deutschen Sprache sowie in der
kulturellen Bildung und waren so in vielen Fällen zum Scheitern verurteilt. Die Kinder dieser
damaligen Jugendlichen seien heute wieder benachteiligt, da ihre Eltern unfähig seien, sich
im deutschen Schulsystem zurecht zu finden. Verfehlte Integrations- und Bildungspolitik, so
Toprak, trage dazu bei, dass sich auch ein Großteil der Jugendlichen aus der dritten Generation
in Deutschland nicht heimisch fühlt. In dieser Situation stünden gerade die Jungen unter
einem großen Druck: Von ihnen werde eine gute Ausbildung, am besten ein Studium erwartet,
um für die Familie sorgen zu können. Gleichzeitig würden sie erkennen, dass sie diese
Position nur schwer erreichen.
Als weiteren bedeutenden Aspekt der fehlenden Integration nannte Prof. Toprak die Erfahrungen
der Diskriminierung, die selbst er als anerkannter Dekan einer deutschen Hochschule
immer wieder mache. Manche Jugendliche würden es dann irgendwann mögen, sich in dieser
Position einzurichten.
"Wie können wir junge, männliche Muslime zu Kooperationspartnern machen und die
Schleife der Desintegration durchbrechen", eröffnete Welle-Niederrhein-Chefredakteur Sven
Ludwig die anschließende Diskussion. Prof. Toprak riet zu einer konfrontativ-konstruktiven
Pädagogik, die am Ball bleibt und sich nicht einschüchtern lässt. Peter Gese, Kontaktperson
der Polizei Krefeld für Moscheen und kulturelle Einrichtungen, berichtete davon, dass durch
viele Gespräche und viel Präsenz in den Einrichtungen, gegenseitiger Respekt entstehe. Inzwischen
sei eine Jugendsprechstunde eingerichtet, die regelmäßig genutzt werde.
Mit dem Publikum entstand eine rege Diskussion. Ein langjähriger Lehrer berichtete davon,
dass es im Schulalltag gar keine Zeit mehr gäbe, um Probleme aufzubereiten. Stattdessen
müsse strikt der Lehrplan eingehalten werden. Ein türkischer Vater bemängelte, dass in dem
Buch von Prof. Toprak die Institution Moschee keine Rolle spiele. Dabei müsse diese unbedingt mit in den Blick genommen werden. Ein junger Mann aus Syrien, der seit vier Jahren in Deutschland lebt, stellte - übrigens in einwandfreiem Deutsch - die Frage: "Wie definiert
man Integration? Muss ich alles von meiner bisherigen Kultur aufgeben, nur damit ich als integriert
gelte?" Ein anderer junger Diskussionsteilnehmer wehrte sich gegen die Zuspitzung
des Buches von Prof. Toprak auf männliche Muslime: "Die besondere männliche Geschlechterrolle
ist nicht nur ein muslimisches Phänomen, sondern eher ein patriarchalisches, das in
vielen Mittelmeerländern vorherrscht." Prof. Toprak entgegnete, dass er den Buchtitel bewusst
so gewählt habe, weil laut Pisa-Studie tatsächlichen die männlichen Muslime der Bildungsverlierer
seien. Sein Vorschlag für einen Ausweg: "Es sollten Bildungspaten für diese
Jungen gefunden werden, die sie durch Schule und Ausbildung begleiten."
Nach zwei Stunden Lesung und interessanter Diskussion schloss Sven Ludwig die Veranstaltung
des Caritas-Fachdienstes für Integration und Migration, von der sicherlich viele Teilnehmende
neue Aspekte und Informationen mitgenommen haben. Das Buch "Muslimisch,
männlich, desintegriert" von Prof. Ahmet Toprak ist im Buchhandel erhältlich.